«Wir helfen, die eigenen Ressourcen zu finden»
Ein Meilenstein war sicher der Entschluss vor zehn Jahren, in der Beratungsstelle auf öffentliche Gelder zu verzichten. Das gab mehr Freiheit, christlichen Glauben in Form von verschiedenen Seelsorgeangeboten profilierter zu integrieren. Vor 15 Jahren haben wir zudem einen Elterncoachingkurs mit geistlichem Ansatz entwickelt, der aus der Schnittstelle von Erziehungs-, Familien- und Paarberatung entstanden ist.
Gibt es finanzielle Hürden zu überwinden, um von der Beratung im Rhynerhus zu profitieren?
Eine Scheidung, Arbeitslosigkeit oder chronische Krankheit hat immer auch einen finanziellen Aspekt. Menschen sollen bei uns unabhängig von ihren Finanzen die Hilfe bekommen, die sie benötigen. Deswegen sind wir vermehrt auf Spenden angewiesen. Menschen kommen oft zu uns, wenn die Not und der damit verbundene Leidensdruck gross sind.
Die Gesellschaft und ihre Werte haben sich in 25 Jahren stark verändert. Welche Spuren hat dies in der Beratungsarbeit hinterlassen?
Zwei Beispiele: Christinnen und Christen holen sich heute viel schneller psychiatrische Hilfe. Die Berührungsängste sind geringer als früher. Darum ist die Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten noch wichtiger geworden. Zugute kommt uns, dass so etwas wie ein «spiritueller Turn» in der Psychotherapie und Psychiatrie stattgefunden hat. Ein intrinsischer Glaube, der zur eigenen Persönlichkeit passt, wird als Ressource angeschaut. Das macht unsere Seelsorgeangebote, welche nebst Gesprächsführung auch Gebet, Segen oder Hören auf Gott beinhalten, in der Fachdiskussion anschlussfähig.
Und das zweite Beispiel?
Die ethischen Dimensionen sind komplexer geworden. Unter Christinnen und Christen ist die Hemmschwelle für Scheidungen gesunken, Eltern ringen ebenbürtig um Entscheidungen, Jugendliche haben andere Werte als ihre christlichen Eltern. Wir begleiten Ratsuchende im Finden ihrer Verantwortung für sich selbst und in den verschiedenen Systemen, in denen sie leben und arbeiten.
Die christliche Beratungsszene hat sich ebenfalls stark entwickelt. Was kennzeichnet das Rhynerhus inmitten anderer Angebote?
Wir verbinden die christliche Spiritualität mit den Erkenntnissen der Sozialwissenschaften, insbesondere der Psychologie. Durch die Einbettung der Beratungsstelle in die Stiftung «Gott hilft» mit ihrem breiten, speziell sozialpädagogischen Know-how sind wir stark, wenn es um Ehe- und Familienthemen und Beziehungen geht. Alle Mitglieder des Beratungsteams arbeiten hauptberuflich in einem sozialen Beruf und nehmen ihre Beratungstätigkeit nebenberuflich wahr.
Das Rhynerhus gehört zur Stiftung «Gott hilft». Hilft Gott durch die Arbeit im Rhynerhus auch Nichtchristen?
Wir teilen die Ratsuchenden nicht in Christen und Nichtchristen ein. Bei uns sind alle willkommen. Gott möchte allen seinen Geschöpfen Gutes tun. Wir haben es oft auch mit Menschen zu tun, die keinen expliziten Bezug zum christlichen Glauben haben. Die Hilfesuchenden stehen in einer Krise und haben Lebenserschütterungen hinter sich. Sinnfragen werden gestellt und damit auch die Frage nach Gott. Wir schmuggeln Gott und seine Hilfsangebote nicht in die Gespräche hinein, wenn jemand das nicht wünscht. Wir helfen den Menschen, ihre eigenen Ressourcen zu finden. Es geschieht jedoch, dass Hilfesuchende sich nach der spirituellen Dimension sehnen. Dann hocken wir nicht auf den Mund!
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Autor: David Gysel
Quelle: idea Schweiz