«Die Libyer sind ein gutes Volk»
Vor fünf Jahren, im Februar 2015, wurden in Libyen 21 christliche Arbeitsemigranten auf der Fahrt zu einem Ölfeld entführt. Sie stammten aus Oberägypten, wo in einigen Gegenden noch bis zu 60 Prozent Christen leben. Gerade deswegen ist dort der Druck politislamischer Terrorbanden besonders stark. Die Bewohner vieler Christendörfer weichen ins libysche Nachbarland aus.
Vom Regen in die Traufe
Dort geraten sie aber oft vom Regen in die Traufe. Seit dem Bürgerkrieg und dem Sturz von Langzeitdiktator Muamar al-Gaddafi mischen die Terrornetzwerke von Al-Kaida und «Islamischer Staat» (IS) mit. Die Enthauptungsspezialisten des IS stellten die entführten Ägypter vor die Wahl: «Mohammed statt Jesus – Überleben oder Kopf ab». Die Christen blieben standhaft – ihr Blut versickerte im Wüstensand. Erst zwei Jahre später – am 15. Februar 2017 – wurde ihr Massengrab gefunden.
«Seitdem gilt Libyen für Christen als eines der gefährlichsten Länder auf der Welt», sagt in der maurischen Altstadt von Tripoli Gemeindeleiter Dimitris Anastasiou. Von den amerikanischen, griechischen und britisch-zyprischen Erdölleuten evangelischen Glaubens – meist Presbyterianer und Methodisten – ist er als einziger dageblieben: «Aber glauben Sie nicht, dass daran die Libyer schuld sind. Sie sind ein gutes Volk. Islamistische Ideologien und Terroristen sind von draussen gekommen, die hat man uns richtig importiert!»
Türkei schickt weitere Extremisten
Aus Richtung Hafen dröhnen mehrere Explosionen, dann ein gewaltiger Knall, der Fensterscheiben und Trommelfelle beinahe zerreisst. Dimitris bleibt ruhig: «Da hat es das türkische Waffenschiff erwischt, hoffentlich auch Erdogans Söldner darauf. Diese Omar-Muchtar-Brigade nennt sich nach einem Freiheitskämpfer, den die italienischen Kolonialherren gehängt hatten. Das ist aber auch das einzig Libysche an ihnen. Es handelt sich um syrische Islamisten, die Ankara in die Schlacht um Tripoli wirft.» Der Grieche überlegt: «Nachdem in ganz Libyen ausser Tripolitanien der ehemalige Gaddafi-General Khalifa Haftar dem Muslimerror ein Ende gemacht hat, schicken jetzt die Türken Nachschub an Fanatikern aus Syrien herüber.»
Verbesserungen unter General Haftar
Im östlichen Bengasi hatten bis zum Einmarsch von Haftar apokalyptische Gräuel geherrscht, wurde der amerikanische Botschafter ermordet, alle Kirchen und das evangelische Bethaus gingen in Flammen auf. «Hier in Tripoli war es nie ganz so schlimm. Aber auch hier kontrollieren seit 2014 diese Heiligen Krieger Allahs die ganze Altstadt, wo sich auch unser Gemeindezentrum befindet. Wir haben es nur gerettet, weil wir in allen irgendwie abkömmlichen Räume ausgebombte Muslimfamilien aufnahmen. Ein Werk der Nächstenliebe und eine Garantie für unsere Sicherheit.»
Draussen in den engen Gassen dürfen sich aber schon lang keine Christen mehr sehen lassen. Heckenschützen nehmen sie aufs Korn, einen Lehrer aus Zypern hat es getroffen. «Das war der Anfang vom Auszug unserer letzten Gemeindemitglieder. Jetzt bin nur noch ich allein übrig.»
Eine Geschichte der Flucht
Auf die Frage, weshalb er sich dazu entschlossen hat, seufzt Dimitris Anastasiou: «Das ist eine lange und traurige Geschichte. Meine Vorfahren waren Griechen in der Osttürkei, die sich durch US-Missionare von der Orthodoxie zur Presbyterianischen Kirche erwecken liessen. 1922 wurden sie wie die Orthodoxen nach Griechenland ausgewiesen. Dort herrschte – wie oft noch heute – keine Duldsamkeit für evangelische Christen. Wer von ihnen konnte, wanderte nach Amerika oder Zypern weiter. So auch meine Grosseltern, die aber dann weiter ins damals in jeder Hinsicht blühende Ägypten zogen. Meine Eltern wurden dann auch am Nil von der Wende zum Muslim-Extremismus eingeholt, ihr Exodus führte sie nach Libyen, damals noch ein christenfreundliches Königreich.»
Unter Gaddafi ging es evangelischen Christen noch nicht so schlecht wie den Italienern als «Kolonialkatholiken». Im Bürgerkrieg ist es aber für alle Christen lebensgefährlich geworden. Doch Dimitris Anastasiou will vor dem Kreuz Jesu nicht länger davonlaufen: «Seit drei Generationen sind wir auf der Flucht. Wenn ich für Jesus mein Leben geben soll, dann möge es hier in Tripoli sein!»
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Datum: 26.02.2020
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet